„Kehrtwende jetzt einleiten“

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Effiziente und nachhaltige Innenraumlüftung: Interview mit Erik Boyter, CEO WindowMaster

Kommunikation2B

Lüftungskonzepte für stark frequentierte Innenräume: ein Thema, das hierzulande angesichts von Infektionsschutz an Bedeutung gewonnen hat und nun hinsichtlich bezahlbarer Energiepreise zusätzliche Brisanz entwickelt. Erik Boyter, Geschäftsführer des Lüftungsspezialisten WindowMaster, erklärt im Interview, warum Deutschland beim Thema Lüftungsstrategie aus seiner Sicht deutlichen Nachholbedarf hat und welche Vorteile kontrollierte natürliche und hybride Lüftungslösungen bieten.

Herr Boyter, welche Lüftungsstrategie verfolgt Deutschland aktuell? 

Es gibt viele unterschiedliche Meinungen und Vorschläge. Insgesamt ist die Lage in meinen Augen sehr unübersichtlich. Unstrittig ist, dass in puncto Infektionsschutz gerade in Hinblick auf den nächsten Herbst und Winter in vielen Einrichtungen hierzulande akuter Handlungsbedarf besteht. Denn das Thema Lüftung wird vielerorts immer noch zu wenig reguliert und automatisiert. Zudem weisen viele bestehende Lüftungsanlagen erhebliche Defizite auf. Der TÜV hat im Jahr 2020 bei etwa jeder dritten Lüftungsanlage in prüfpflichtigen Gebäuden wie Schulen, Kliniken und Einkaufszentren Mängel entdeckt. Insbesondere deutsche Schulen werden ab Herbst wahrscheinlich wieder im Fokus des Pandemiegeschehens stehen – das dritte Jahr in Folge. Dennoch ist es gerade hier bislang weitgehend versäumt worden, das Infektionsrisiko mit baulichen und technischen Maßnahmen zu senken. Mich ärgert das, wie kann das sein? Das manuelle Lüften über Fenster ist vielerorts nach wie vor häufig die einzige Möglichkeit, frische Luft ins Klassenzimmer zu bekommen. Stichwort: Stoßlüften.

Was kritisieren Sie am händischen Lüften?

Natürlich senkt regelmäßiges Lüften nachweislich die Übertragung von Covid-19 in Innenräumen und steigert die Leistungsfähigkeit – ein zentraler Aspekt vor allem in Bildungsstätten. Verbrauchte Luft führt nicht nur zu einem allgemeinen Unbehagen, sondern beeinflusst auch entscheidend die menschliche Konzentrationsfähigkeit. Die rein manuelle Fensterlüftung wird von Experten aber zu Recht immer wieder kritisiert, weil eine Steuerung durch Personen in hohem Maße unzuverlässig ist. Stehen Fenster im Winter lange auf, wird oftmals unnötig Energie verschwendet. Vor dem Hintergrund der Klimaschutzziele und stark steigender Rohstoffpreise ist Energieverschwendung durch falsches Lüften unbedingt zu vermeiden. Zudem wird das manuelle Lüften oft vergessen, sodass verbrauchte Luft und infektiöse Aerosole nicht zuverlässig ausgetauscht werden und im Raum verbleiben. Um Lernenden und Studierenden eine hygienisch unbedenkliche Luftqualität zu ermöglichen, ist die Einführung von geregelten Lüftungskonzepten zwingend erforderlich.

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Welche weiteren Lösungsansätze gibt es?

Mobile Luftreiniger stehen in der Kritik, weil sie kein CO2 aus der Luft filtern können und damit die Konzentrationsfähigkeit sinken kann. Daher ist auch hier eine zusätzliche Fensterlüftung unumgänglich, die wiederum in der Kritik steht. Und raumlufttechnische Anlagen (RLT) sind oftmals wartungs- und energieintensiv. Das kann also hinsichtlich steigender Energiepreise ebenfalls nicht die Lösung sein. Und es ist ja kein Geheimnis, dass Deutschland zum Erreichen der Klimaschutzziele den Energiebedarf schnellstmöglich senken muss. Abgesehen davon lassen sich zentrale RLT-Anlagen nur selten nachrüsten. An der öffentlichen Debatte sowie an offiziellen Stellungnahmen und Orientierungsleitfäden rund um das Thema Innenraumlüftung stört mich, dass viele Vorschläge einfach zu schwarz-weiß gedacht sind. Entweder das eine oder das andere. Es gibt ja hier durchaus andere und auch flexible Lösungen, die die Vorteile unterschiedlicher Strategien vereinen.

Was meinen Sie genau?

Ich wundere mich immer wieder, dass es in der öffentlichen Diskussion in Deutschland immer noch extrem selten um die Möglichkeit der kontrollierten natürlichen Fensterlüftung (KNL) geht. Hin und wieder lese ich in Regionalzeitungen zwar Artikel über Schulen, bei denen eine kontrollierte natürliche Lüftung eingebaut wurde. Das ist aber immer noch viel zu selten, obwohl die Vorteile auf der Hand liegen. Andere europäische Länder sind hier schon viel weiter. Denn die Vorteile sind überragend:  Bei der KNL entstehen die notwendigen Luftströme allein durch Temperatur- und Druckunterschiede zwischen Innen- und Außenluft sowie durch den natürlichen Wind. Das Öffnen und Schließen der Fenster wird dabei durch intelligente Sensoren – zum Beispiel zur Überprüfung von Temperatur, Niederschlag und CO2-Gehalt – sowie mechanische Antriebe vollautomatisiert gesteuert. Dies geschieht äußerst leise und zuverlässig. Ein Vergessen der Fensterlüftung ist gänzlich ausgeschlossen.

Hybride Lüftung - Einseitige Lüftung

Natürliche Lüftung, ergänzt durch mechanische Absaugung. Die natürliche Lüftung kann durch mechanische Absaugung unterstützt werden, wenn die natürlichen Antriebskräfte nicht ausreichen.

Vent Ensidet Hybrid 3D 2021 DEU

Hybride Lüftung - Atriumlüftung

Natürliche Lüftung, ergänzt durch eine ausgewogene mechanische Lüftung. Die Strategie besteht darin, das ganze Jahr über ein optimales Raumklima bei möglichst geringem Energieverbrauch zu schaffen.

Vent Opdrift Hybrid 3D 2021 DEU

Für welche Umgebungen eignet sich die kontrollierte natürliche Lüftung?

In vielen Gebäuden kann sie als alleinige Lösung zum Einsatz kommen, um die Frischluftzufuhr zu gewährleisten und die Innenraumtemperatur zu steuern. Die Entscheidung darüber hängt immer von den individuellen räumlichen Gegebenheiten ab – sei es beim Neubau oder bei der Sanierung. Wo es erforderlich ist, besteht auch die Möglichkeit, eine hybride Lösung aus kontrollierter natürlicher Lüftung und mechanischen Systemen zu installieren. Die mechanische Lüftung übernimmt dann nur, wenn es die äußeren Bedingungen verlangen oder wenn es in bestimmten Bereichen des Gebäudes erforderlich ist. Hybride Systeme können sowohl im natürlichen als auch im mechanischen Lüftungsmodus denselben Luftstromweg nutzen. Ein Beispiel hierfür wäre eine mechanische Lüftungskomponente in Form eines Ventilators, der sich in einem Schacht befindet. Dieser wird verwendet, wenn das System im mechanischen Modus läuft. Derselbe Schacht wird dann auch als natürlicher Luftströmungsweg genutzt, wenn das System im rein natürlichen Lüftungsmodus läuft. Hier ist es wichtig, dass der Ventilator den natürlichen Luftstrom nicht unter ein akzeptables Maß reduziert. Überlegungen wie diese sind in der Planungsphase von entscheidender Bedeutung.

Was ist der zentrale Vorteil hybrider Lösungen?

Studien haben das enorme Energieeinsparpotenzial von rein natürlichen oder gemischten Lüftungslösungen nachgewiesen. Es liegt zwischen 47 und 79 Prozent – eine Zahl, die aus meiner Sicht viel zu relevant ist, um sie zu ignorieren. Für eine intelligente Energieeinsparung sorgt hier insbesondere auch der Effekt der Nachtauskühlung. Dabei wird warme, abgestandene Luft nachts durch die automatisiert gesteuerten Fensteröffnungen nach außen abgeführt. Kalte Luft strömt nach und kühlt Wände und Gegenstände ab, so dass diese tagsüber erneut Wärme aufnehmen können – ein natürlicher Kühlvorgang, der keine externe Energie benötigt. Diese Strategie kommt besonders Gebäuden wie Schulen und Bürokomplexen zugute, bei denen nachts niemand vor Ort ist, um die kalte Luft rein zu lassen.

Automated Windows

Woran hakt es hierzulande aus Ihrer Sicht?

Ich denke, dass Deutschland offener für neue und kombinierte Lüftungssysteme werden muss. Das Thema Innenraumlüftung kann mittlerweile doch kaum noch jemand hören, weil effektive Lösungen fehlen. Dabei geht es hier um eine wichtige gesellschaftspolitische Debatte rund um Infektionsschutz, Gesundheit, Klimaschutz und Energieeinsparung – und auch um das Thema Digitalisierung. Erst neulich habe ich gelesen, dass deutsche Genossenschaften eine manuelle Rechenscheibe zum richtigen Lüften herausgegeben haben. Das kann man doch nicht ernsthaft als zuverlässige Lüftungsstrategie verkaufen. Deutschland hat hier in meinen Augen deutlichen Nachholbedarf, muss digitaler werden und auch mutiger, neue Wege zu gehen. Und der Weg ist gar nicht mal so steinig: Systeme zur natürlichen Lüftung können in vielen Fällen schnell und mit überschaubarem finanziellem Aufwand nachgerüstet werden. Deutschland kann sie somit quasi ab sofort nutzen, um für den nächsten Pandemiewinter gerüstet zu sein. Auch der Umbau und die Neuausrichtung einer bereits vorhandenen rein mechanischen Lüftung zur Implementierung eines hybriden Lüftungssystems ist eine schonende, nicht-invasive Lösung, die CO2-Emissionen reduziert und die Potenziale der Natur optimal nutzt. Mein deutlicher Appell an die Verantwortlichen hierzulande lautet: Die Kehrtwende muss jetzt eingeleitet werden.

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